1891-2007

Das Hauptaugenmerk dieser Ausstellung liegt auf der – ausschließlich 2007 – entstandenen Serie „Global Past“ der Wiener Künstlerin Ursula Pühringer. Doch zuvor möchte ich das frühere Schaffen der Künstlerin kurz beleuchten.
Nach dem Studium an der Wiener Akademie der Bildenden Künste ging Pühringer eine Zeit lang nach Paris, wo sie sich vorerst der Skulptur widmete. Dort entstanden lebensgroße menschliche Figuren aus kleinmaschigem Draht. Bereits zum damaligen Zeitpunkt ging es der Künstlerin um Transparenz und Räumlichkeit der Dinge. Bei ihren Skulpturen ist der Raum durch die Formgebung des Drahtes eindeutig gegeben und doch scheinen die Grenzen aufgehoben, das menschliche Auge blickt durch die Skulpturen hindurch und kann den Körper gleichzeitig von außen und innen, von vorne und von hinten erfassen, wodurch die soeben genannte Räumlichkeit wieder aufgehoben wird und sich in Transparenz auflöst.

Woher erhält Ursula Pühringer nun ihre Motive? Sie findet diese im Alltäglichen, in kurzlebigen Augenblicken, vor allem aber inspirieren sie ihre Auslandsaufenthalte zu neuen Serien. So entstand in New York die Serie „Mythology on the street“. Diese Schattenbilder entstanden durch den Blick ihres Fensters im 27. Stock auf die Straße, wo die Schatten der Passanten wesentlich dominanter als die Personen selbst wurden und ein scheinbares Eigenleben zu entwickeln begannen.
„Brothers and Sisters“, eine weitere Serie aus der Zeit in New York, entstammt Fotografien von Gorillas aus dem dortigen Zoo. Das Gehege war so konzipiert, dass die Besucher durch einen Verbindungsgang in die Mitte des Geheges, in eine Glaskuppel, gelangen konnten. Die Betrachterrolle wurde dadurch umgekehrt: Die Gorillas kamen heran, um die „ausgestellten“ menschlichen Besucher zu begutachten. Durch die geringe Distanz zu den Menschenaffen entstand ein enormes Gefühl der Nähe zu diesen, wobei das familiäre Gefühl durch den Titel dieser Serie deutlich gemacht wird.
Immer wieder reist die Künstlerin jedoch nach Indien, wo vor allem die dortige Farbigkeit und das Licht große Faszination auf sie ausüben. Auch hier orientiert sich die Pühringer am Alltäglichen. Einige Werke aus der dort entstandenen Serie „Lost in Sarees“ sehen Sie im hintersten Zimmer der Praxis. Eine starke Farbigkeit geht von diesen Bildern aus, Räumlichkeit wird durch die in sich zerfließenden Farbübergänge des Hintergrundes geschaffen. Figuration steht Abstraktion gegenüber. Die Körper der Frauen sind in sich versunken, ein meditatives Nach-innen-Kehren wird deutlich gemacht, der farbenfrohe Stoff der Saris lenkt den Blick des Betrachters auf sich und lässt uns gleichsam in diesen Farben verlieren.

Auf der Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten der Durchlässigkeit gelangte Pühringer zum Zeichnen am Computer. Ausgangsobjekte sind entweder selbstgeschossene Fotos – z. B. die Schattenbilder – oder Ahnenbilder ihrer Familie. Im nächsten Schritt werden die Fotografien digitalisiert und so in einen mediatisierten Zwischenzustand gebracht, um danach mit dem Computerprogramm „Macromedia Freehand“ neu aufgebaut und abstrahiert zu werden. Das Zeichnen am Computer erfolgt nicht, wie vielleicht vermutet, in Pixel-Malerei, sondern das Programm funktioniert mit geschlossenen Flächen, die durch Vektoren konstruiert werden. Innerhalb dieser Flächen ist die Farbbestimmung völlig frei und präzise auswählbar. Diese Flächen werden nun schrittweise übereinander gelegt, was zu zig übereinanderliegenden Ebenen in einem Bild führen kann. Da eine Ausbesserung einer früheren Fläche nur schwer möglich ist, erfordert die Gesamtkomposition ein langsames Herantasten, ein genaues vorangegangenes Konzept und viel Denkarbeit der Künstlerin. Das Foto dient dabei nur als Motivvorlage, die Künstlerin verändert Formen sowie die gesamte Farbpalette und trotz des äußerst narrativen Aspektes der Werke ist die formale, technische Umsetzung streng abstrakt. Die fertigen Werke werden anhand verschiedenformatiger Digitaldrucke wieder greifbar gemacht und sind nunmehr – wie mit dem Pinsel gemalte Werke – entweder auf der Leinwand oder auf mattem Foto-Papier für den Betrachter zugänglich.
Neben diesem computerisierten Verfahren malt die Künstlerin mit Acrylfarben konventionell auf Leinwand. Eine wechselseitige Beeinflussung zwischen diesen beiden Verfahren findet jedoch laufend statt. Am Werk „1895“ – zu sehen ist die Großmutter der Künstlerin – wird diese Beeinflussung sehr stark deutlich. Das Bild ist gemalt und doch scheinen die Farbübergänge sowie die gesamte Konzeption der Computertechnik stark angeglichen.

Inhaltlich bezieht sich die Serie „Global Past“ auf das Porträt. Doch handelt es sich dabei nicht um herkömmliche Porträtmalerei. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass die dargestellten Personen verschiedensten Zeitebenen entstammen. So stellt das Werk mit dem Titel 1985. 1894. die Künstlerin und ihre Großmutter, beide im zirka gleichen Alter, dar, die wie Schwestern beieinander stehen. Das längliche Bild im Vorraum mit den drei Frauenköpfen zeigt die Halbschwester der Künstlerin 1943, dann Ursula Pühringer selbst 1980 und abschließend wiederum die Großmutter 1894. Die Ahnen werden so in einen völlig neuen Bezug gestellt, die Generationen verlassen die zeitliche Chronologie und geben dem Rezipienten zu verstehen, dass man vielleicht auch selbst einen neuen Zugang zu seinen Vorfahren finden kann und eine noch nie dagewesene Nähe zu den Ahnen möglich sei.
Auffallend ist in dieser Serie wiederum das Experiment mit der Durchsichtigkeit. Die Bilder und Figuren wirken durchscheinend, der lasierende Effekt rückt die Werke in eine andere Zeit sowie in eine andere (verschwindende) Realitätsebene.
Besonders spannend wirkt auf mich die Komposition der beiden Männer im Werk mit dem Titel 1916. 1981. Hier ist der Vater Pühringers in Uniform aus dem Ersten Weltkrieg zu sehen und daneben sitzt der Ehemann der Künstlerin. Während der Ehemann aus dem Bild heraus in unsere Zeit hineinsieht, verliert sich der Blick des Vaters in der Ferne, scheinbar wissend, dass er einer anderen – vergangen – Generation angehört.

Johanna Aufreiter
November 2007